Was ist Sünde? Die wahre Natur der Sünde

Die Frage, was Sünde ist, ist keine rein theoretische Frage. Sie beinhaltet einen großen praktischen Wert und hat entscheidende Auswirkungen für die, die danach suchen von der Macht und Herrschaft der Sünde befreit zu werden. Unsere Methode, sie zu überwinden, wird von unserem Verständnis von Sünde bestimmt. Muss das bewiesen werden? Es sollte eine Tatsache sein, die sich selbst erklärt und keiner weiteren Erläuterung bedarf. Wenn ich mich von äußerlicher Verunreinigung befreien möchte, brauche ich Seife, und wenn mein Magen oder Darm verunreinigt ist, brauche ich ein Abführmittel. Wenn jedoch meine Natur verunreinigt ist, brauche ich viel mehr als nur solche Mittel. Wir müssen wissen, dass die Definition von Sünde sehr wichtig ist, wenn sie vollkommen überwunden werden soll. Wird die wahre Natur der Sünde nicht erkannt bzw. verstanden, werden wir immer falsche Maßnahmen ergreifen, um sie zu überwinden. Die Geschichtsaufzeichnung über das Volk Gottes zeigt, dass es für die meiste Zeit ein falsches Verständnis über die wahre Natur der Sünde besaß.

Die entscheidende Frage lautet deshalb: Ist Sünde eine Tat oder ein Zustand? Um es anders zu formulieren: Ist Sünde etwas, das wir tun, oder treffender ausgedrückt, was wir sind?

Wenn Sünde eine Tat ist, dann müssten wir uns lediglich darauf konzentrieren, sie aufzugeben. Ist Sünde jedoch ein Zustand oder das, was wir sind, so besteht der einzige Weg zur Überwindung darin, diesem sündhaften Zustand zu entfliehen oder uns von dem, was wir sind, zu etwas anderem verändern zu lassen. Unsere Definition von Sünde entscheidet also darüber, wie wir sie überwinden können. Das ist von entscheidender Bedeutung. Die eine Vorgehensweise ist zum Scheitern verurteilt, der andere Weg ist Gottes Weg und damit der einzige Weg zum Erfolg.

Definition von Sünde

Die bekannteste und am meisten zitierte Definition von Sünde finden wir in 1.Johannes 3,4:

„Ein jeder, der Sünde tut, übertritt das Gesetz, und die Sünde ist die Gesetzesübertretung.“ (1.Joh. 3,4 – Schlachter)

Oberflächlich betrachtet ist dieser Vers klar definiert. Er scheint auszudrücken, dass Sünde immer dann vorhanden ist, wenn  wir das Gesetz übertreten bzw. ihm ungehorsam sind. Das würde bedeuten, dass Sünde eine Tat ist. Es ist jedoch interessant festzustellen, dass die meisten Bibelübersetzungen diesen Vers anders wiedergeben als die Schlachter-Übersetzung.

„Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht.“ (rev. Luther)

„Jeder, der die Sünde tut, tut auch die Gesetzlosigkeit, und die Sünde ist die Gesetzlosigkeit.“ (rev. Elberfelder)

„Jeder, der die Sünde tut, handelt gesetzwidrig; denn Sünde ist Gesetzwidrigkeit.“ (Einheitsübersetzung)

„Jeder, der die Sünde tut, verübt auch die Gesetzwidrigkeit, die Sünde ist ja die Gesetzwidrigkeit.“ (Kürzinger)

In all diesen Versen wird Sünde nicht als eine Tat aufgezeigt, sondern mit einem Hauptwort definiert. Sie alle sagen: „Sünde ist Gesetzlosigkeit (Gesetzwidrigkeit, Unrecht)“. Das macht Sünde eher zu einem Zustand als zu einer Tat. Der griechische Grundtext rechtfertigt diese Übersetzungen.

Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass einige von uns dieser Vorstellung, Sünde sei mehr als eine Tat, widersprechen werden. Wenn wir eine Auslegung annehmen sollen, brauchen wir eindeutig weitere Beweise aus der Bibel. Gibt es sie? Es gibt in der Tat eine Menge solcher Beweise.

Sünde wird in vielen anderen Passagen des Neuen Testaments in einer noch bestimmteren Art erwähnt. Nehmen wir beispielsweise 1.Johannes 5,17 und Römer 14,23:

„Jede Ungerechtigkeit ist Sünde. …“ (1.Johannes 5,17)

„… Was aber nicht aus dem Glauben kommt, das ist Sünde.“ (Römer 14,23)

Der zweite Vers ist ganz besonders interessant, weil er uns aufzeigt, dass es selbst bei den frommsten Werken möglich ist, zu sündigen – wenn die Motivation für diese Werke nicht der Glaube ist. Hier haben wir einen Hinweis erhalten, dass Sünde mehr als eine Tat und viel tiefgründiger ist, als nur eine Tat des Ungehorsams. Hat Jesus nicht genau das ausgedrückt? Was meint er im folgenden Vers?

„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst nicht ehebrechen.« Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ (Matthäus 5,27.28)

Jesus macht hier deutlich, dass Sünde mehr ist als äußerliche Taten. Sie umfasst die Motive und Absichten des Herzens! Übertretung des Gesetzes besteht nicht nur im äußerlichen Ungehorsam, sondern sie ist ein Geisteszustand, der den äußerlichen Ungehorsam beherbergt, ihn züchtet und dann hervorbringt.

Wir sehen also, dass das Gesetz nicht nur unsere Taten verurteilt, sondern auch unsere Motive. Das ist deshalb so, weil die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit über unsere Handlungsweisen hinausgeht. Da das Gesetz Gottes Gesetz ist und genauso gerecht ist wie er selbst, kann dem Gesetz nicht mit irgendeinem Grad irgendeiner Gerechtigkeit genüge getan werden!! Das führt uns zu der nächsten Frage: Wenn das Gesetz nicht nur unsere Taten, sondern auch unsere Motive verurteilt, verurteilt es dann auch dieNatur, die diese Motive und Taten entstehen lässt? Lass mich erklären, was ich damit meine.

Die Natur ist entscheidend

Taten beginnen in unseren Gedanken, Motiven und Absichten. Wenn diese böse sind, sind unsere Taten zwangsläufig auch böse. Was  führt jedoch zu bösen Gedanken, Motiven und Absichten? Jesus gibt uns darauf wieder eine glasklare Antwort:

„Nehmt an, ein Baum ist gut, so wird auch seine Frucht gut sein; oder nehmt an, ein Baum ist faul, so wird auch seine Frucht faul sein. Denn an der Frucht erkennt man den Baum. Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz.“ (Matthäus 12,33-35)

Gemäß Jesus tut ein Mensch deshalb böse Dinge, weil er ein böser Mensch ist. Gleicherweise tut ein Mensch gute Dinge, weil er ein guter Mensch ist. Die Art des Baumes entscheidet über die Art von Frucht, die der Baum trägt. Der einzige Weg, sicherzustellen, dass die Frucht gut ist, ist, die Baumart zu wechseln oder die Natur des Baumes zu verändern. Ist es das, was Jesus sagt? Es ist kaum möglich, seinen klaren Worten zu entfliehen. Ein Mensch hat dann böse Absichten, wenn er ein böser Mensch ist.

Wenn nun das Gesetz einen Menschen wegen seiner bösen Absichten und Taten verurteilt, verurteilt es ihn auch dafür, dass er ein böser Mensch ist? Entschuldigt das Gesetz, das Gottes eigene Gerechtigkeit erfordert, etwa einen Menschen, dessen eigene Natur ihn nur zu bösen Gedanken und Taten befähigen kann? Jesus bezeichnete solche Menschen als „Schlangenbrut“, mit anderen Worten „Kinder von Schlangen“. Wollte er poetisch oder beleidigend sein? Oder steckte hinter seinen Worten eine tiefe Wahrheit? Er äußerte damit eine grundlegende Wahrheit. Es ist dieselbe Wahrheit, die er auch mit den Worten zum Ausdruck brachte: „Ihr habt den Teufel zum Vater, und nach eures Vaters Gelüste wollt ihr tun. …“ (Matthäus 8,44). Die Wahrheit ist, dass das Problem dieser Menschen ihre Natur war – das Leben, das in ihnen war. Sie waren die Kinder Satans, die Brut von Schlangen und konnten deshalb nichts Gutes vollbringen. Bevor sie gut werden konnten, musste sich zuerst ihre Natur ändern. Sie mussten von neuem geboren werden. 

Lass uns etwas anderes betrachten. Jesus lehrte, dass allein Gott gut ist (siehe Matthäus 19,17). Aber in dem Vers, den wir vorhin zitiert haben, erklärt Jesus: „Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens.“ Wenn doch Gott allein gut ist, warum bezieht sich Jesus hier auf den Menschen als gut? Die Antwort lautet, dass er deshalb gut ist, weil er eins geworden ist mit Gott und Gott in ihm durch Jesus Christus lebt. Das ist der Grund dafür, warum der Mensch nun fähig ist, Gutes aus dem Herzen hervorzubringen – Gott, der gut ist, lebt in seinem Herzen. Das Gesetzt kann nichts an solch einem Menschen aussetzen, kann es nicht verurteilen, denn wenn es das täte, so müsste es Gott selbst verurteilen.

Mehr als nur Taten

Diese Vorstellung, dass Sünde in erster Linie ein Zustand und keine Tat ist, wird nicht nur in den bereits zitierten Versen, sondern auch an vielen anderen Stellen in der Bibel gelehrt. In Römer Kapitel 5, 6 und 7, bezieht sich der Apostel Paulus auf Sünde in einer Art und Weise, die deutlich macht, dass sie mehr als nur eine Tat ist. Sehen wir uns einige Beispiele an:

„Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die Vielen zu Sündern geworden sind …“ (Römer 5,19)

Hier sehen wir, dass ein Mensch die Tat verübt hat, dass einer ungehorsam war. Durch diese Tat jedoch sind viele zu Sündern geworden. Wie wurden sie zu Sündern? Die Bedeutung ist klar. Sie wurden als eine Art von Wesen zu Sündern, als eine bestimmte Art von Kreatur, die vollkommen unter der Herrschaft der Sünde steht und von Natur aus im Einklang mit ihr ist. Sie wurden nicht zu Sündern, weil sie selbst gesündigt haben, sondern weil ein Mensch gesündigt hatte. Um es mit der obigen Veranschaulichung Jesu auszudrücken: sie sind zu faulen Bäumen geworden und können deshalb fortwährend nur faule Früchte hervorbringen. Sie sind nicht deshalb faule Bäume, weil sie faule Früchte hervorbringen, sondern weil ihre Wurzeln, ihre Natur so ist, sie auf diese Art und Weise entstanden sind bzw. geboren wurden.

„Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so dass wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde.“ (Römer 6,6.7)

Hier spricht Paulus von dem „Leib der Sünde“. Was meint er damit? Beachte, er sagt, dass dieser Leib vernichtet werden muss, damit „wir hinfort der Sünde nicht dienen“. Er unterstellt, dass das der einzige Weg ist, auf dem wir vom Dienst der Sünde befreit werden können. Im 8. Kapitel drückt er diesen Gedanken sehr deutlich aus: „Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen.“(Römer 8,8) Der einzige Weg, auf dem wir Gott gefallen und von der Herrschaft der Sünde befreit werden können, ist, dem „Fleisch“ oder dem „Leib der Sünde“ zu entfliehen. Wenn ein Mensch Gott nicht gefallen kann, kann er dann den Anforderungen des Gesetzes genügen? Wenn Gott mit solch einer Person unzufrieden ist, kann denn das Gesetz mit ihr zufrieden sein? Es ist offensichtlich, dass das Gesetz an dieser Person etwas auszusetzen hat, noch bevor sie auch nur eine einzige Sünde getan hat. Es verdammt sie aufgrund ihres Zustandes der Gesetzlosigkeit, die es ihr unmöglich macht, auch nur irgendetwas Gutes zu tun.

„Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.“ (Römer 7,19.20)

Diese Passage trifft den Nagel auf dem Kopf. Hier personifiziert Paulus die Sünde und beschreibt sie als einen König. Warum tat Paulus das Böse? Warum war es für ihn unmöglich, Gutes zu tun? Wollte er denn Gutes tun? Er wollte. Wollte er damit aufhören, Böses zu tun? Auch das wollte er. Warum konnte er es dann nicht? Weil „König Sünde“ in seinem Leib regierte (vgl. Römer 5,21). Er besaß von Geburt an eine Macht in seiner sündigen Natur, die ihn zu ihrem Sklaven machte und zum Bösen zwang. Diese Sünde bezeichnete er als „die Sünde, die in mir wohnt“.

Wenn wir die Definition der Sünde auf die Übertretung des Gesetzes beschränken würden, wie könnten wir dann diese Passage verstehen? Wir müssen unsere Erklärung von Sünde ausweiten um zu verstehen, dass Sünde mehr ist als nur die Tat der Übertretung des Gesetzes. Denn wenn wir jetzt die Definition von Sünde auf die Übertretung des Gesetzes beziehen, müssen wir schlussfolgern, dass wir das Gesetz deshalb übertreten, weil wir mit einer sündigen Natur geboren wurden. In diesem Zustand verurteilt uns das Gesetz zum Tode. Die Realität ist: Es geht um unsere Natur und nicht um unsere Taten! ■

David Clayton

Tausende Schläge treffen die Äste des Bösen, wenn einer an der Wurzel hackt. – Henry David Thoreau

Erschien in: Open Face, November 2005
Übernommen von: Heart4Truth, April 2006